Funktion des Barriquefassausbaus im Wein

Eine Einführung

Wie wirkt sich der Ausbau eines Weines im Barriquefass auf den Geschmack aus?
Warum sind bis heute – fast – alle ganz großen Weine im Eichenholzfass ausgebaut?
Warum gibt es dennoch gute Gründe, in manchen Fällen nicht im kleinen Holzfass veredelte Weine den im Barrique gereiften Weinen vorzuziehen?
Wie wirkt sich die Veredelung im Barrique auf das Lagerpotenzial eines Weines aus?
Und, last but not least: Welche Rolle spielt der Barriquefassausbau im Weiß- und Roséweinbereich?

 

Dies ist nur eine kleine Sammlung von Fragen, die sich viele Weinliebhaber stellen bzw., die unter ihnen kontrovers diskutiert werden. Und nicht nur vermag die Frage, wie man zum Ausbau eines Weines im Barriquefass steht, enormes Polarisierungspotenzial zu entfalten,- häufig geht die Positionierung in dieser Frage auch mit durchaus erstaunlichen Defiziten an Kenntnis in Funktion und Zweck des Barriquefassausbaues einher. Und selbst erfahrene und avertierte Weingenießer scheitern manches Mal bereits an der Frage, ob der degustierte Wein überhaupt die Veredelung im kleinen Eichenholzfass erfahren hat oder nicht.

In diesem Artikel soll eine prägnante Einführung in das Thema Barriquefassausbau im Wein geleistet werden. Zum einen soll damit versucht werden, den Blick des geneigten Lesers auf die Thematik zu weiten, um nicht gewissermaßen „ohne Not“ eine womöglich kategorische Positionierung in der Frage „Barrique – ja oder nein?“ vorzunehmen. Zum anderen aber, und dies ist die Hauptintention des kleinen Textes, soll ein Beitrag zu bewussterem Genuss geleistet werden,- denn, vergessen wir Eines nicht: Letzten Endes geht es, wie in so vielen Dingen, auch hier nicht um exakte Wissenschaft, sondern um eine durch Wissen und Erfahrung unterfütterte Wahrnehmung, die dem bewussten Weingenuss zu Grunde liegt und ihn zu befördern vermag.

Zuallererst ist eine terminologische Vorbemerkung notwendig: Ursprünglich bezeichnet das französische Wort „barrique“  einfach ein Fass,-  und da es im Mittelalter keine Fässer aus anderen Materialien gab, war durch die Jahrhunderte hindurch selbstverständlich ein Holzfass damit gemeint. Als Inbegriff des Holzfasses hat sich schließlich aufgrund seiner überragenden Bedeutung im Handelsleben das „Barrique Bordelaise“ mit der nun bereits seit Jahrhunderten unveränderlichen Größe von 225 Litern Fassungsvermögen etabliert. Es spiegelt sich zudem darin der historisch offenbare Umstand wider, dass die Weine des Bordelais über die auch für den modernen Weinbau noch maßgeblichen Jahrhunderte hinweg international die qualitative Referenz, die „Benchmark“ gewissermaßen, dargestellt haben,- was den großen Weinen der Bourgogne etwa, des Piemont oder des Barolo-Gebietes keinen Abbruch tut.
Wenn wir in diesem Text vom „Barrique“ sprechen, so tun wir dies daher zwar vom klassischen Barrique Bordelaise ausgehend, es sind aber die in anderen Regionen und Ländern im Weinbau gebräuchlichen Fässer davon abweichender Fassungsvermögen selbstverständlich mitgemeint.

 

Wie kam man dazu, Weine im Barriquefass auszubauen?

Das Barriquefass hatte zunächst die einzige Aufgabe, als Transportbehälter der edlen Bordelaiser Weine in den seit dem 12. Jahrhundert eminent bedeutsamen und an Gewicht über die Jahrhunderte hinweg immer noch zunehmenden angelsächsischen Markt zu dienen. Eine Schifffahrt zur damaligen Zeit vom Hafen von Bordeaux quer durch die stürmische Biskaya bis zur britischen Insel war freilich alles andere als ein Spaziergang,- und so nimmt es kaum Wunder, dass der Wein häufig in oxidiertem und somit ungenießbarem Zustand die englische Küste erreichte.
Erstaunlicherweise waren die im kleinen Holzfass transportierten Weine sehr viel seltener von der fatalen Verderbnis betroffen,- eine Erkenntnis, die bis heute Gültigkeit hat und sich keineswegs nur auf den Transport beschränkt: Die Lagerung im Barriquefass wirkt sich positiv auf die Haltbarkeit des Weines aus!

Segelschiff zum Transport von Handelsgütern wie bspw. Wein

Paradoxerweise führte der Seetransport des Weines im Barrique zu einer geschmacklichen Veredelung

Eine weitere, freilich sehr viel später gemachte Entdeckung geht auf den im erdteilumspannenden Weinhandel tätigen Louis-Gaspard Estournel zurück. Als der Begründer des berühmten, im medocanischen Saint-Estèphe gelegenen Château Cos d’Estournel im frühen 18. Jahrhundert einmal eines seiner aus Indien zurückkehrenden Handelsschiffe mit bedauerlicherweise unverkauft gebliebenen Fässern Wein an Bord im Hafen von Bordeaux in Empfang nehmen musste, ergab die Kostprobe der unverhofften Retoure, dass die nach Indien und zurück im Holzfass verschifften Weine erstaunlicher Weise den zuhause gebliebenen Weinen des gleichen Jahrgang geschmacklich weit überlegen waren; mit den weitgereisten und in Indien unverkäuflich gebliebenen Weinen konnte Estournel auf dem heimischen Markt in der Folge geradezu astronomische Preise erzielen… Und die Erkenntnis war gewonnen: Die Ausreifung im Barriquefass bewirkt eine geschmackliche Veredelung der Weine!

Der Brückenschlag zwischen beiden Aspekten, dem besseren Potenzial zur Lagerung und der geschmacklichen Veredelung liegt auf der Hand: Ganz besonders in einer Region, in der die über Jahre und Jahrzehnte andauernde weitere Ausreifung in der Flasche den Weinen erst ihre letzte Vollendung gibt, ist die Veredelung des Weines im Barrique zumindest für das Premium-Segment in doppelter Hinsicht unverzichtbar,- der unmittelbaren Verfeinerung des Geschmacks halber, und sodann, weil nur die im Barrique ausgebauten Weine überhaupt jenes Alter zu erreichen vermögen, in dem sie als geschmacklich vollständig ausgereift genossen werden können.

Alte Barriquefässer

Nicht nur der Wein, auch die Fässer sind einem Alterungsprozess unterworfen,- und erfahren im besten Falle eine Veredelung

Nach diesem geschichtlichen Rückblick kommen wir nun auf die zentrale Frage: Was bewirkt eigentlich genau der Ausbau eines Weines im kleinen Eichenholzfass?

 

Wirkweise des Barriquefassausbaus auf den Wein

Nun, zuallernächst empfängt der Wein eine geschmackliche Anreicherung durch jene Stoffe, die das Eichenholz direkt an den Wein abgibt: Gerbstoffe, also, oder um es mit dem spezifischeren Wort französischen Ursprungs zu sagen: Tannine. Auch wenn dem gekelterten und vinifizierten Traubensaft somit extrinsisch Stoffe zuwandern, so handelt es sich dennoch nicht um ein eigentlich fremdes Element: Tannine finden sich auch in Traubenhaut, in Traubenstielen und -Kernen. Besonders stark tanninhaltig bspw. ist die im Bordelais unverzichtbare Cabernet-Sauvignon-Traube; der Merlot hingegen weist einen deutlich geringeren Tanningehalt auf.

Wonach schmeckt denn nun das Tannin eigentlich? Nun, für sich genommen schmeckt es so gut wie nach gar nichts! Die Wirkung des Tannins ist vor allem adstringierend, d.h. die Schleimhäute „zusammenziehend“, wodurch der geschmackliche Eindruck einer gewissen pelzigen Herbheit entsteht: der Wein fühlt sich „trocken“ an. Viel Lärm also um – geschmacklich – rein gar nichts?
Wenn man so will. Und dann doch auch wieder ganz anders, denn gerade diese spezifische pelzige Herbheit, mehr oder weniger ausgebildete „Trockenheit“ bildet den Rahmen, in dem sich all die sinnlich verführerischen Aromen edler Weine überhaupt erst strukturiert, in Reintönigkeit voneinander abgehoben manifestieren können.

Richtig, und d. h. im passenden Maße eingesetzt fügt der Barriquefassausbau dem Wein also nicht eigentlich etwas hinzu, sondern er leistet vielmehr seinen entschiedenen Beitrag dazu, dass der Wein erst sein Eigenstes zu entfalten und zu offenbaren vermag. Und dies übrigens durchaus nicht ausschließlich in aromatischer Hinsicht,- in dem Begriff „pelzig“ klingt es bereits an: auch die Textur, also die Stofflichkeit eines Weines erfährt durch den Ausbau im kleinen Holzfass eine Veredelung, die in der Weinsprache bspw. mit den Begriffen „körperreich“, „opulent“, „samtig“, „feinkörnig“ „seidig“ oder „weich“ umschrieben wird. Auch das „eingebundene“ Tannin verdankt seine angenehme Prägung häufig der gekonnt eingesetzten Verwendung des Eichenholzfasses.
Umgekehrt spricht man von „kantigem“, „hartem“ oder „festem“ Tannin, wo dies nicht (oder noch nicht) geglückt ist und die Gerbstoffe eine Vordringlichkeit aufweisen, die als das Geschmacksempfinden störend und unangenehm wahrgenommen wird.

Sattes Rubinrot im Weinglas

Intensive Farbsättigung und -Tiefe zeugen von einem hohen Tanningehalt

Auch die Farbtiefe und -Intensität im Übrigen, der Grad der farblichen Sättigung und der Farbglanz eines Weines verdanken sich wesentlich seinem Gehalt an Tanninen, der ihm durch die Traube selbst abhängig von der Dauer der Gärung auf der Maische zuwächst oder ihm zuteil wird durch den späteren Ausbau im Barrique.

Wir möchten nochmals für einen Moment auf den vorerwähnten Begriff des „eingebundenen“ Tannins zurückkommen, da er uns geeignet scheint, die paradoxe Wirkweise des gelungenen Barriquefassausbaus besonders gut greifbar zu machen: Die im vinifizierten Rebensaft enthaltene Gerbsäure erfährt also durch den Ausbau einen weiteren Zuwachs an Gerbsäure in Gestalt des vom Eichenholz abgegebenen Tannins, und gleichzeitig wird das Tannin geglättet, eingebunden, seiner bissigen Vordringlichkeit beraubt und in jene feine Balance gebracht, die einen edlen Wein als so abgerundet, harmonisch und in sich stimmig erscheinen lässt.
Eine feine Dialektik ist da im Spiele, zu der sich noch eine weitere gesellt: Ein Holzfass, anders als ein Stahltank oder ein Tank aus Beton, ist ein Stück Natur, es atmet, und dies bedeutet: Der darin gelagerte Wein steht in einem – wenngleich minimierten – Austausch mit der Umgebungsluft,- er oxidiert. Ist dies aber nicht genau jener Vorgang der Verderbnis, vor dem die Lagerung im Holzfass gerade bewahren sollte, wie weiter oben beschrieben? Gewiss!
Der im Holzfass ausgebaute Wein lebt durch sein langsames Hinscheiden,- das Eine bedingt das Andere in gerade derselben Weise, in der das Andere das Eine bedingt,- es gibt hier keinen einfachen Ursprung.

Wir lassen diese überaus bedenkenswerte Feststellung an dieser Stelle so stehen und wenden uns zumindest in Kürze zwei bislang noch vernachlässigten Aspekten zu.

 

Die Herkunft der Hölzer

Der eine davon betrifft die Herkunft des im Ausbau verwendeten Eichenholzes. Bis heute gelten Frankreichs Eichenwälder als vornehmste Quelle hochwertigster, für den Bau von Weinfässern geeigneter Hölzer. Und selbst innerhalb Frankreichs weisen die aus den Eichenwäldern zu gewinnenden Hölzer je nach Region ganz unterschiedliche Qualitäten auf, die in Tanningehalt, Grob- oder Feinporigkeit und vielen weiteren für den Weinbau bedeutsamen Eigenschaften ihren Ausdruck finden. Kein Kellermeister eines Saint-Émilion Grand Cru Châteaus oder auch eines Cru Bourgeois aus dem Haut-Médoc, der nicht detailliert auseinanderzusetzen vermöchte, weshalb die Wahl auf französische Eiche aus dem Centre, dem Limousin, dem Troncais oder auch aus den Vogesen gefallen ist und auch unbedingt fallen musste, um dem Wein die gesuchten Qualitäten zu verleihen.

Neben Frankreich spielen auch Osteuropa und namentlich die slowenischen Eichenwälder als Herkunftsregionen eine bedeutsame Rolle, doch der eigentliche Widerpart zur französischen ist in der amerikanischen Eiche (Quercus Alba) zu sehen. Deutlich günstiger im Preis, zeichnet sich die amerikanische Eiche durch einen gegenüber der europäischen Artverwandten deutlich geringeren Tanningehalt und dafür einen vergleichsweise enormen Vanillinreichtum aus,- eine derart prägnant süssliche Charakteristik, die sich dem in amerikanischer Eiche ausgebautem Wein dann auch so direkt und generös mitteilt, dass der Ausbau in amerikanischer Eiche in der Degustation manches Mal fast noch augenfälliger ist als die zur Verwendung gekommenen Rebsorten!
Neben dem günstigen Preis wird in der amerikanischen Eiche somit auch eine gewisse Publikumsgefälligkeit eingekauft, die dann freilich in der anspruchsvolleren Klientel einer ebenso entschiedenen, rigorosen Ablehnung weicht.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich vor vielen Jahren einmal auf einem Château-Besuch im Médoc meine freilich auch herb empfundene Enttäuschung über den degustierten Jahrgang dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass ich den sehr deutlich wahrnehmbaren Einsatz amerikanischer Eiche im Ausbau zur Sprache gebracht habe,- wie ich meinte, in ganz neutralen Worten, doch lag, wie ich der Reaktion meines Gegenübers, des die Sache verantwortenden Kellermeisters, schmerzlich entnehmen musste, in meiner unvorsichtigen Bemerkung eine ganz offensichtlich derartig ehrabschneidende Wucht, dass ich rückblickend weit diplomatischer von einem völlig ungenießbaren Gesöff hätte sprechen sollen,- es wäre dann vermutlich ein freundliches Gespräch unter Gentlemen geblieben.

Barrique sanft beschienen im Lichte der Kapelle

 

Bearbeitung der Hölzer

Neben der Herkunft der Hölzer spielt auch die Bearbeitung der für den Fassbau verwendeten Hölzer eine bedeutsame Rolle, und hier sind an vorderster Stelle die Dauer der Ablagerung des Holzes vor Weiterbearbeitung und sodann die Flammung anzusprechen.
Je länger das Eichenholz an der freien Luft getrocknet wurde, desto mehr verliert sich der strenge Ton im Holz und weicht einer diskreteren und darum nicht minder eindrucksvollen Abgabe seiner aromaprägenden Stoffe.

Barrique perfekt eingesetzt: Château Vernous

Mit der Flammung, Toastung und Röstung eines Barriquefasses wird die Behandlung der Innenseiten der Dalben durch Eichenholz- oder auch Gasbefeuerung benannt. Je nach Intensität und Dauer dieser Beflammung – es wird unterschieden zwischen „Low“, „medium“ und „high“ – bleiben die prägenden Inhaltsstoffe des Holzes selbst im Vordergrund oder aber sie weichen, mit zunehmendem Grad der Toastung, den stärker akzentuierten Röstaromen und setzen Noten von Vanille, Karamell, Espresso, Schokolade, Gewürz, Toastbrot sowie rauchige Noten frei. Auch die berühmte „Zigarrenkiste“ und Zedernholz sind dieser Geschmacksfamilie zuzurechnen.

 

Die – zentrale – Frage des rechten Maßes

Dass die Frage der qualitativen Auswirkung des Barriquefassausbaues letztlich auf eine ganze Reihe von quantitativen Fragen, die Fragen des rechtes Maßes also, zurückführt, ist aus dem Vorhergehenden bereits deutlich geworden. Die Wahl der Herkunft der verwendeten Hölzer ebenso wie die Dauer der Ablagerung und der Grad der Toastung sind bestimmende Faktoren dafür, wie die Gewichtung zwischen primären, aus dem Traubengut selbst stammenden Aromen, sekundären, in der Vinifizierung zur Entfaltung kommenden, und schließlich tertiären Aromen, jenen also, die sich aus Lagerung und weiterer Ausreifung ergeben, in eine ausgewogene, dem Charakter des Weines entsprechende Balance kommt.
Ein weiterer quantitativer Aspekt ist mit der Größe des eingesetzten Fasses unmittelbar gegeben. Je kleiner das Fass, desto höher ist der Kontaktanteil der Fassoberfläche mit dem eingelagerten Wein, und dementsprechend signifikanter die durch den Fassausbau erfahrene Prägung. Sind die Unterschiede zwischen dem „Bordelaiser Barrique“ (225 Liter) und dem „Burgundischen Pièce“ (228 Liter) noch vernachlässigenswert, so wird der Ausbau in einem „Foudre“ etwa (1.000 Liter Fassungsvermögen und mehr) sich vergleichsweise diskret auf den geschmacklichen Charakter des Weines auswirken.

Höchste Zeit ist es nun, einen noch weiteren quantitativen  Aspekt anzusprechen, nämlich die Frage nach der Dauer des Ausbaues im Barrique sowie nach dem Verwendungszeitraum der eingesetzten Fässer.

Bzgl. der Dauer wird ein Zeitraum von sechs bis sechsunddreißig  Monaten kaum einmal unter- bzw. überschritten. Letzteres hat seinen Grund darin, dass ein Barriquefass sich mit zunehmender Verwendungsdauer in der Abgabe aromaprägender Stoffe erschöpft,- nach ca. drei Jahren des Einsatzes ist das aromaprägende Leben eines Barriquefasses zu 90 bis 95% ausgehaucht; die weitere Belassung des Weines im Barrique würde keinen Sinn ergeben.
Umgekehrt kann die ausschließliche Verwendung gebrauchter Fässer genau dort Sinn machen, wo der traubige Charakter des Weines bewahrt werden und das Barrique dem Wein nur noch eine letzte, vollendende Abrundung zu verleihen bestimmt ist. Die Entscheidung über das Mischungsverhältnis von neuen und gebrauchten Fässern, die eingesetzt werden sollen, gewährt dem Kellermeister eine quasi unbegrenzte Fülle an Möglichkeiten, dem Wein unter Berücksichtigung der Qualität des Traubengutes und dem angestrebten Weinstil seinen spezifischen Charakter zu verleihen,- bzw. diesen zum Ausdruck zu bringen.
Die Fülle der Möglichkeiten und damit freilich auch die Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe tritt nochmals verdeutlicht zutage, wenn man berücksichtigt, dass der Kellermeister etwa eines Médoc-Châteaus für seine Cuvée Traubengut nicht allein aus drei bis fünf verschiedenen Rebsorten mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften zu verarbeiten hat, sondern diese Unterschiedlichkeit noch weitere Akzentuierung durch das Alter der Rebstöcke, die Bodenbeschaffenheiten der einzelnen Parzellen sowie, last but not least, durch die meteorologischen Ausprägungen der Jahrgänge erfährt,- ein hochkomplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren, unter denen der Ausbau im Barrique nur einer unter vielen anderen ist.

Freilich ist es genau auch dieses hochkomplexe Zusammenspiel verschiedenster Faktoren, das den Wein zu einem solch unerschöpflichen Quell der Wahrnehmungsfreude und der Ausdifferenzierung von geradezu spiritueller Tragweite macht. Ebenso kann die sich im Preis eines Weines zwischen zehn und zigtausenden Euro pro Flasche wenigstens ungefähr artikulierende qualitative Bandbreite der dem Verbraucher zur Wahl stehenden Weine vor diesem Hintergrund vielleicht zumindest in den Horizont möglichen Verständnisses gelangen.

Château Côtes de Saint-Clair - Puisseguin Saint-Émilion

Weich und ausbalanciert, auch dank partiellem Ausbau im Barrique: Château Côtes de Saint Clair

Auch der mancherorts gewählte partielle Barriquefassausbau übrigens, in dem lediglich ein Teil des Traubengutes dem Ausbau im Holzfass unterzogen, wird, hingegen der andere Teil im Stahltank seine weitere Entwicklung nehmen darf, stellt eine bedeutsame Erweiterung der Möglichkeiten des Kellermeisters dar, seine Meisterschaft in Respekt vor der Qualität des Traubengutes unter Beweis zu stellen.

Von hoher Bedeutung, es deutet sich im Vorhergehenden bereits an, ist also der Anteil von neuen unter den Barriques eingesetzten Fässern; dieser Anteil findet sich neben der Dauer des Ausbaus ebenfalls auf dem Rückenetikett (in Frankreich „contre-étiquette“ genannt) eines höherwertigen Weines manches Male mit Stolz angegeben: „24 Monate in 50 % neuen Fässern“, bspw.. Es dokumentiert sich darin, dass das Château einen hohen Kostenaufwand im Ausbau des Weines betrieben hat,- und, fast noch mehr: dass es die Qualität des verwendeten Traubengutes diesen Aufwandes auch für wert hält!

Und mit dieser Feststellung sind wir auch bei der aus unserer Sicht letztlich entscheidenden Frage des rechten Maßes angekommen,- der Frage nach der Qualität des Traubengutes! Je höher die Qualität, desto längeren und intensiveren Ausbau (élévage) im Barrique wird der vinifizierte Wein vertragen können. – Und umgekehrt. Einen schwachbrüstigen, einfachen Roten aus dem Entre Deux Mers etwa einer élévage im Stile eines Mouton Rothschild zu unterziehen, würde diesen armen Tropfen nicht zu einem besseren machen oder ihn gar auf die Stufe eines Mouton Rothschild heben, sondern, im Gegenteil, es würde ihn umbringen. Und umgekehrt, einem großen Wein den wohl abgewogenen Ausbau im Barrique vorzuenthalten, würde bedeuten, ihn großer Teile seines Potenzials unwiderruflich zu berauben.
Die berühmte und zu Recht hochangesehene britische Weinkritikerin Jancis Robinson fasst dies in ihrem mit dem Kollegen Hugh Johnson veröffentlichten Standardwerk „Wein – Der Weinatlas“ in der keineswegs provokant gemeinten Formulierung, dass selbstverständlich „der gesamte seriöse (sic!), Hervorhebung von uns) Rotwein dem mildernden Prozess des Eichenfassausbaus unterzogen wird“.

Weinkeller des Château Margaux

Unterirdische Kathedrale des Weinbaus: Barriquefasskeller im Château Margaux

Wir lassen diesen kraftvollen Satz an der Stelle so stehen und stellen ihm einen weiteren Satz als These gegenüber: Es ist im Wesentlichen der unseriöse Umgang mit dem Barriquefassausbau, der ihn bei manchen Teilen der Weinliebhaber in Verruf kommen lassen hat,- und die Frage danach, wie man zum Barriqueausbau steht, zu einer polarisierenden gemacht hat.

 

Das rechte Maß im Weiß- und Roséweinbereich

Das rechte Maß ist, wie vom griechischen Philosophen Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik (4. Jh. v. Chr.) in bis heute uneingeholter gedanklicher und beobachtender Sorgfalt ausgeführt, alles andere als einfach nur die geometrische Mitte zwischen zwei Gegensätzen oder gar ein fauler Kompromiss. Im Gegenteil, es ist Wahrnehmung und damit die In-Wert-Setzung gegensätzlicher Gesichtspunkte, indem sie wohlabgewogen in das rechte Verhältnis zueinander gesetzt werden.

Wir kommen nun also auf den Aspekt des Barriquefassausbaus bei den Weiß- und Roséweinen zu sprechen.
Die Ausgangssituation ist im Falle des Weißweines schon von daher eine völlig andere als beim Rotwein, als die weißen Traubensorten einen Tanningehalt aufweisen, der bei einem kleinen Bruchteil von dem liegt, was in Rotweinsorten anzutreffen ist. Hinzu kommt eine beim Weißwein rigoroser betriebene Entrappung, also die Trennung des Traubengutes von den tannninhaltigen Stilen, sowie insbesondere eine gar nicht oder allenfalls extrem kurze Zeit der Maischegärung. Gerbstoffe in ihren unterschiedlichen Arten befinden sich nur zu einem minimalen Anteil im Traubenfleisch, vor allem jedoch in Traubenhaut und in den Kernen. Wird die Maischegärung gegenüber der Rotweinbereitung extrem verkürzt bzw. findet der Gärprozess überhaupt erst nach der Pressung statt, so können nochmals weniger Tannine in den Wein gelangen; auch der sehr geringe Tanningehalt von Roséweinen hat darin seine Erklärung.
Übrigens ist die Farbtiefe eines Roséweines – entgegen einem weit verbreiteten Irrtum – kein Indikator für den Tanningehalt des Weines; dies hängt damit zusammen, dass die Farbstoffe der Traubenhaut sich bereits durch die im Gärprozess entstehende Wärme, also von den ersten Stunden der Vinjfizierung an, zu lösen beginnen,- die Gerbstoffe hingegen lösen sich erst durch den in im Verlaufe der Gärung hervorgerufenen Alkohol und gelangen somit nur in sehr geringen Mengen in den späteren Wein.

Nutzt ausschließlich gebrauchte Fässer des Château Yquem: Château Fontvert

Wie die Ausgangslage beim Weiß- und Roséwein eine völlig andere als beim Rotwein ist, so gilt dies auch für die Zielsetzung des Barriquefassausbaus. Hier nun kommt es weniger darum, das ohnehin kaum vorhandene Tannin einzubinden und zu harmonisieren, als darum, dem Wein im mehr Breite im Gaumen, dichteres Gefüge und infolge davon einen anhaltenden Nachklang zu verleihen.

Auch leicht rauchige Noten bzw. Anklänge von Wacholder, Anis und Salbei können auf diese Weise erzielt werden, die jedoch niemals in den Vordergrund treten und dem Wein damit ihren Stempel aufdrücken sollten.
In noch stärkerem Maße als beim Rotwein ist hier Vorsicht und Bedachtsamkeit im Ausbau das Gebot der Stunde,- und umgekehrt können bewusst nicht im Barriquefass ausgebaute Weiß- und Roséweine gerade aufgrund dieses Verzichts einen solch unvergleichlich betörenden Charme von floral beschwingter Duftigkeit und reintönig differenzierten Obstanklängen entfalten, dass jeglicher Gedanke an Ausbau im Barrique von vornherein nicht mehr in den Sinn zu kommen vermag.

 

Irrwege im Barriquefassausbau und verwandte Methoden in der Weinbereitung

Irrwege im Barriquefassausbau nennen wir all solche Vorgehensweisen, die, statt den Charakter eines Weines zu akzentuieren und ihn hervortreten zu lassen, ihn verbergen, camouflieren oder gar bis zur bloßen Unkenntlichkeit entstellen. Das Beispiel des einfachen Roten aus Entre Deux Mers haben wir bereits genannt,- es steht stellvertretend für all jene Weine, die, unausgebaut, ihren Charme und ihre spezifische Köstlichkeit zu entfalten vermögen, durch den zwanghaft forcierten Ausbau im Barrique jedoch geradezu erschlagen und ihrer Reize beraubt werden.

Der Zwang ergibt sich natürlich in den meisten Fällen aus dem Ökonomischen. Ein neues Barriquefass aus amerikanischer Eiche liegt preislich bei ca: 500 ,- bis 700;- €; für ein Fass aus französischer Eiche ist gut und gern der doppelte Betrag zu berappen. Gleichzeitig wirkt sich der auf dem Etikett oder Rückenetikett gegebene Hinweis auf den Ausbau im Barrique bis heute unmittelbar wertsteigernd für einen Wein aus,- zumindest in jenen Preissegmenten, in denen der Konsument nicht ohnehin von einem im Barrique veredelten Wein ausgeht. Dieser Umstand, und vielleicht auch noch der Stolz des Erzeugers, einen des Barriquefassausbaus (vermeintlich) würdigen Tropfen hervorgebracht zu haben, mag für manche fatale Entscheidung in der Frage des Ausbaus ursächlich sein.

Eine weitere Ursache für manch bis in die heutigen Tage anzutreffendes Ressentiment gegenüber dem Barriquefassausbau wird in einer geschichtlichen Entwicklung zu verorten sein, die in den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Anfang nahm und von erheblicher Auswirkung auf den europäischen Weinmarkt sein sollte: die Entdeckung und Etablierung überseeischer, allen voran chilenischer, argentinischer, kalifornischer  sowie aus Südafrika stammender Weine auf dem Kontinent. Eine Erfolgsgeschichte, zweifellos, die wesentlich darauf zurückzuführen war, dass diese Weine Aromen höchst erstaunlicher Ausprägung von Sandelholz, Vanille und marmeladigen Anklängen bei gleichzeitig durch die Fruchtsüße noch zusätzlich befeuerter Opulenz aufwiesen, die, um das Mindeste zu sagen, bei niedrig bis mittelpreisigen europäischen Weinen so nicht anzutreffen und überdies geeignet waren, auch – und möglicherweise vor allem – dem in Sachen Weingenuss noch gänzlich Unbewanderten auf Anhieb Freude zu machen.
Die Charakteristik und der vergleichsweise günstige Preis dieser Weine verdankte sich in aller Regel dem Einsatz sogenannter „Oak-Chips“, die unter sehr überschaubarem finanziellen Einsatz derart fulminante Wirkung zu erzielen vermochten, dass die Erzeuger (oder die auftraggebenden Importeure) sich da häufig keine falsche Scham mehr auferlegen mochten und Weine alsbald von geradezu narkotisierender Wirkung auf den Markt warfen. Ein An- und Vorrecht, das in der Folge so vehement auch von europäischen Winzern eingefordert wurde, bis die Europäische Union schließlich in 2006 den Einsatz von Eichenholzchips auch in der europäischen Weinbereitung erlaubte.

Abgesehen davon, dass das rechte Maß beim Einsatz der Pellets unter all den im vorigen Kapitel aufgeführten Gesichtspunkten nur schwer bzw. letztlich gar nicht zu treffen ist, entfällt bei dieser Art des Ausbaus zwangsläufig natürlich auch der oxidative Aspekt, der im Barriquefassausbau die Dinge auf natürliche Weise unnachahmlich in der Balance hält.

Es ist also keineswegs bloßer Traditionalismus als Selbstzweck, sondern über Jahrhunderte gereiftes und in Ehren gehaltenes Wissen über die komplexe Wirkweise des Barriquefassausbaus im Wein, dass das französische, für die AOC-Reglementierung zuständige Institut national de l’origine et de la qualité (INAO) dem Einsatz von Eichenholzchips bis heute konsequent einen Riegel vorschiebt.
Bis freilich die Furcht vor parfümiertem Wein vollständig aus der Debatte um Für und Wider des Barriquefassausbaus wieder verschwunden sein wird, wird noch viel Zeit zu vergehen und Wasser die Seine herunter zu laufen haben.

 

Die Tochter des Hauses entnimmt dem Fass mit einer Pipette eine Kostprobe des Jahrganges: Château Recougne

 

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